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Selbstreguliertes Lernen: Erfolgreiches Lernen unterstützen

Das selbstregulierte Lernen im Unterricht diagnostizieren

Yves Karlen & Kerstin Bäuerlein (2023), Universität Zürich, Pädagogische Hochschule FHNW

Selbstreguliertes Lernen (SRL) umfasst die Fähigkeit, das eigene Lernen durch den Einsatz von Strategien zielgerichtet zu planen, zu überwachen und zu regulieren, um die gewünschten Kompetenzen zu erwerben. Es ermöglicht Schüler*innen, Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess zu übernehmen und dadurch ihre Lernmotivation und -leistung zu verbessern. Forschungsergebnisse machen deutlich, dass das SRL mit einem grösseren Erfolg in der Schule und im Beruf einhergeht und eine wichtige Voraussetzung für lebenslanges Lernen darstellt. Viele Schüler*innen bekunden jedoch Mühe im SRL. Die Lehrpersonen können sie dabei unterstützen und verschiedene (metakognitive, kognitive, motivationale und emotionale) Kompetenzen im SRL fördern. Eine angemessene Diagnose stellt dabei den Ausgangspunkt für eine adaptive und effektive Förderung dar. Ziel der Diagnose ist es, Informationen zu den Lernvoraussetzungen, dem Kompetenzstand und dem Lernverhalten von Schüler*innen zu sammeln, um ihnen einerseits Feedback zu geben und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen sowie andererseits passende Fördermassnahmen abzuleiten.

Bei der Diagnose von SRL stellen sich verschiedene Herausforderungen. So sind die Kompetenzen des SRL (z.B. Motivation) häufig nicht direkt beobachtbar. Um sie dennoch erfassen zu können, müssen beobachtbare Kriterien festgelegt werden, die Hinweise auf die Kompetenzen geben. Eine weitere Herausforderung besteht in der Situationsspezifität der Kompetenzen im SRL. Wenn eine Schülerin sich im Fach Physik motivieren kann, muss das nicht automatisch auch für den Sportunterricht zutreffen. Darüber hinaus gibt es häufig kein klares «Richtig» oder «Falsch» und «mehr» ist nicht automatisch besser (z.B. einen Text mehrfach lesen). Entscheidend sind vielmehr Qualität und die Adaptivität, d.h. das Vorgehen an die gegebene Situation anzupassen. Um diesen Herausforderungen begegnen zu können Lehrpersonen verschiedene Massnahmen ergreifen:

  • Kriteriengeleitet vorgehen: Beobachtbare Indikatoren werden identifiziert, anhand derer Lehrpersonen beispielsweise auf die Motivation der Schüler*innen schliessen können. Beim Festlegen der Indikatoren können die Schüler*innen einbezogen werden.

  • Systematisch vorgehen: Die Diagnose und Förderung des SRL werden bei der Planung des Unterrichts mitgedacht. Vorab wird festgelegt, zu welchem Zweck, in welchen Situationen und mit welchen Methoden das SRL erfasst wird.

  • Kooperativ vorgehen: Lehrpersonen tauschen sich im Kollegium über Kriterien zur Erfassung von SRL aus und sammeln Informationen und Beobachtungen zu Schüler*innen in unterschiedlichen Situationen, um ein ganzheitliches Bild der Kompetenzen der Schüler*innen im SRL zu erhalten.

  • Schüler*innen einbeziehen: Schüler*innen können beispielsweise Selbst- oder Peerfeedback geben, was zu einer differenzierteren Abbildung der Kompetenzen im SRL beitragen kann. Zudem werden die Schüler*innen dadurch für das SRL sensibilisiert und darin unterstützt, zunehmend selbst Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen.

Methoden

Es gibt eine Reihe von Methoden, anhand derer Lehrpersonen das SRL im Unterricht diagnostizieren können und die sich für eine ganzheitliche Erfassung des Lernstands im Bereich des SRL kombinieren lassen:

​Beobachtung: Das Schüler*innenverhalten wird während des Unterrichts und des Arbeitens beobachtet. Dies ermöglicht Einblicke in die Anwendung von SRL-Strategien wie Selbstmotivation, Zeitmanagement, Selbstüberwachung und Selbstreflexion. Für eine gezielte Beobachtung sind Beobachtungsbögen hilfreich, sodass das Lernverhalten anhand beobachtbarer Indikatoren erfasst werden kann. Kriterien (z.B. Ziele setzen) und Indikatoren (z.B. hält Lernziele für die Prüfungsvorbereitung schriftlich fest) werden festgelegt.

Fragebögen: Mithilfe von Fragebögen zur Selbstevaluation können Lehrpersonen die Schüler*innen dazu bringen, ihre eigenen Lernprozesse und -strategien zu reflektieren. Mit Fragebögen wird oftmals eher ein allgemeines Lernverhalten und nicht situationsspezifisches Verhalten erfasst. Ein Beispiel für einen solchen Fragebogen ist «Wie lerne ich» von Metzger et al. (2010).

Lautes Denken: Beim lauten Denken werden nicht direkt beobachtbare, gedankliche Vorgänge durch die Lehrperson oder die Schüler*innen beim Lösen einer Aufgabe verbalisiert, sodass die Strategien und Vorgehensweisen sicht- und hörbar werden. Beispielsweise «Jetzt überlege ich gerade, wie…» oder «Ich suche auf dem Arbeitsblatt nach…».

Lernspuren sammeln: Durch das Sammeln und Beurteilen von Arbeits- und Lernproben können Lehrpersonen sehen, ob die Schüler*innen die Fähigkeiten des SRL anwenden (z.B. Markierungen und Randnotizen bei Texten).

Lernportfolios und -tagebücher: Die Schüler*innen werden angeleitet, Lernportfolios oder -tagebücher zu erstellen, die ihre Lernprozesse und -ergebnisse dokumentieren und dadurch für die Lehrperson sichtbar machen. Die Schüler*innen werden dazu angeregt, ihre eigenen Ziele und Pläne für ihr Lernen zu verschriftlichen und ihre Fortschritte zu überwachen. Dies kann auch über die Verwendung von Zielvereinbarungen oder Lernplänen unterstützt werden. Ausserdem können Lehrpersonen den Schüler*innen sogenannte «Prompts» vorgeben. Dabei handelt es sich um kurze Hinweise, die zum Nachdenken über den eigenen Lernprozess anregen sollen (z.B. Wie will ich heute vorgehen? Welche Hilfsmittel habe ich heute verwendet? Was ist besonders wichtig für mich?). Solche Fragen helfen den Schüler*innen das Nachdenken über das Lernen zu strukturieren.

Austausch über das Lernen: Im Unterricht kann Zeit eingeplant werden, um sich über das Lernen auszutauschen (z.B. Lektion-, Tages- oder Wochenrückblick). Die Schüler*innen werden ermutigt, ihre Lernprozesse mit anderen zu teilen, um dadurch von und mit den anderen Schüler*innen zu lernen. Dies kann in Form von Peer-Tutoring, Lernpartnerschaften, Lerngruppen oder Klassen-Lerngesprächen geschehen. Zugleich kann mit Peer-Feedback die Fähigkeit zur Reflexion trainiert werden. Dies schult die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Schüler*innen und ermöglicht das Anwenden einer Sprache des Lernens. Anhand verschiedener Rückmeldungen und des Vergleichs von Selbsteinschätzungen mit Peer- und Lehrpersoneneinschätzungen (360-Grad-Feedback) wird es den Schüler*innen ermöglicht, ein realistisches Selbstbild zum SRL zu gewinnen.

Lerncoaching/Lernprozessberatung: Beim Lerncoaching übernimmt eine Lehrperson die Rolle des Coaches und unterstützt die Schüler*innen dabei, ihre Lernstrategien zu verbessern und damit erfolgreicher zu lernen. Dies kann beispielsweise durch die Identifizierung von Lernschwierigkeiten, die Erstellung von Lernplänen und die Unterstützung bei der Selbstmotivation erfolgen. Die Lernprozessberatung kann mit Schüler*innen jeder Altersstufe durchgeführt werden und sowohl in Einzel- als auch Gruppenform angeboten werden. Als Grundlage für die Gespräche können beispielsweise Instrumente wie die «Lern-Lupe» oder der «Berg des Lernens» (siehe entsprechende Blog-Beiträge) dienen.

SRL mit Hilfe von digitalen Tools diagnostizieren: Um Lehrpersonen bei der Diagnose und Förderung ihrer Schüler*innen hinsichtlich derer Kompetenzen im SRL zu unterstützen, wurde das Online-Diagnosetool «CleveR» (https://clever-selbstreguliert-lernen.ch) mit individueller Feedbackfunktion entwickelt. Die Schüler*innen bearbeiten CleveR am Computer (oder Tablet). Ihr Wissen in den verschiedenen Kompetenzbereichen des SRL wird mit Wissenstests erhoben und die Anwendung von Strategien durch Selbstberichte. Zudem nehmen die Schüler*innen auch eine Selbsteinschätzung ihres Wissens in diesen Bereichen vor und machen Angaben zu ihrem typischen Lernverhalten. Anschliessend erhalten die Schüler*innen ein Feedback, das ihren individuellen Kompetenzstand aufzeigt und diesen mit ihrer Selbsteinschätzung sowie der selbstberichteten Umsetzung vergleicht. Zusätzlich werden ihnen für jeden Kompetenzbereich passende Lerntipps vorgeschlagen. Die Lehrpersonen haben ebenfalls Zugriff auf die individuellen Resultate ihrer Schüler*innen und erhalten zusätzlich eine Klassenübersicht sowie Tipps für die gezielte Förderung des SRL in ihrem Unterricht.

Leitfragen

Folgende Fragen können Lehrpersonen dabei helfen, die Diagnose von SRL zu systematisieren und ein umfassendes Bild der Kompetenzen der Schüler*innen im SRL zu erhalten:

  • Welche Kompetenzen im SRL sollen die Schüler*innen zeigen und möchte ich diagnostizieren?

  • In welchen Unterrichts- und Schulsituationen und anhand welcher Lernspuren lassen sich die Kompetenzen im SRL beobachten und festhalten?

  • Mit welchen Methoden möchte ich die Kompetenzen im SRL diagnostizieren?

  • Welche unterschiedlichen Perspektiven werden bei der Diagnose des SRL einbezogen?

  • Wie erfolgt die Rückmeldung zum SRL an die Schüler*innen?

  • Welche Fördermassnahmen kann ich aufgrund der gesammelten Informationen ableiten?

​Quellen

  • Bastian, J., Combe, A., & Langer, R. (2016). Feedback-Methoden: Erprobte Konzepte, evaluierte Erfahrungen. Beltz.

  • Eisenbart, U., Schelbert, B., & Stokar-Bischofberger, E. (2010). Stärken entdecken – erfassen – entwickeln. Das Talentportfolio in der Schule. Schulverlag plus.

  • Karlen, Y., Bühlmann, F., Compagnoni, M., Pfaffhauser, R., Schuler, N., & Zimmerli, C. (2022). Überfachliche Kompetenzen stärken. Anregungen für die Planung, Förderung und Einschätzung überfachlicher Kompetenzen. Pädagogische Hochschule FHNW. https://doi.org/10.26041/fhnw-4237

  • Metzger, C., Locatelli, M., Weinstein, C. E., & Palmer, D. R. (2010). Wie lerne ich?  WLI-Schule, Fragebogen für Schülerinnen und Schüler. Sauerländer.

  • Schuster, C., Stebner, F., & Weber, X.-L. (2021). Pädagogische Diagnostik und selbstreguliertes Lernen – Empfehlungen für den Präsenz- und Distanzunterricht. Die Deutsche Schulakademie.